Olympische Spiele 2012: Was war, was ist, was bleibt

Am Sonntag, 19. August 2012 schrieb Frithjof Kleen

Frithjof Kleen Daumen hoch copyrightDie Olympischen Spiele liegen hinter mir. Ich werde sie nie vergessen! Sie haben mich bereichert. Und mehr noch: Sie haben Hunger auf mehr gemacht. Meine Erlebnisse habe ich aufgeschrieben, um die Erfahrung zu teilen. Und auch, um mich selbst immer wieder an diese zwei außergewöhnlichen Wochen meiner Sportkarriere zu erinnern.

Olympisches Dorf & Eröffnungsfeier
Alles begann im Olympischen Dorf der Segler in Weymouth. Hier, etwa 300 Kilometer entfernt vom olympischen Hauptquartier in London, waren wir Segler, Trainer und Betreuer unter uns. Es ging sehr familiär zu. Gewohnt haben wir im Jugendherbergsstil in typischen kleinen englischen Town Houses, die eigens für die Olympischen Spiele errichtet worden waren und später verkauft werden. Wir haben mit allen zwölf Seglerinnen und Seglern der Deutschen Olympiamannschaft in einem Haus gewohnt, die Trainer und Betreuer in einem zweiten. Bei uns herrschte die ganze Zeit über eine sehr tolle Stimmung, welche das Teamgefühl enorm beflügelt hat.
An die Sicherheitsvorkehrungen bei Olympischen Spielen musste ich mich erst gewöhnen. Man hat täglich mehrmals eine Kontrolle wie am Flughafen zu durchlaufen. Wir fühlten uns im Hafen manchmal wie in einem Hochsicherheitstrakt. Andererseits waren alle Sicherheitskräfte unglaublich freundlich, manchmal sogar witzig. Britisch eben.
Frithjof Kleen Eröffnungsfeier London Da wir nicht allzu weit von London entfernt waren, konnten im Gegensatz zu früheren Olympischen Spielen dieses Mal auch wir Segler an der Olympischen Eröffnungsfeier teilnehmen. Wir hatten zwar einen siebenstündigen Bus-Marathon zu überstehen, bis wir in London ankamen, doch der Abend war es wert. Die Fahrt auf der so genannten „Olympic Lane“ oder auch die Polizeieskorte in Richtung Stadion waren bemerkenswert. Der Einmarsch der Sportler in das mit 80.000 begeisterten Menschen gefüllte Stadion war einmalig schön! Ich bin sehr froh, dass ich dieses Fest erleben durfte, weil es mir das Gefühl von Olympia gegeben hat. Bei uns in Weymouth hat sich die Olympia-Regatta oft eher wie ein Weltcup angefühlt.

 Foto: picture alliance/dpaDie olympische Regatta
Unser wichtigstes und imposantestes Rennen war das erste. Es wurde live im ZDF übertragen und von Nils Kaben kommentiert. Wir haben es als Spitzenreiter über weite Strecken angeführt – einen besseren Start hätten wir uns nicht wünschen können! Ich habe irgendwann zu Robert gesagt: „Wir haben genau im richtigen Moment geführt. Das haben alle gesehen und sich für das olympische Segeln begeistert!“ Wir konnten uns im Verlauf der Regatta konstant und konsequent in den Top Ten platzieren. Zu einer Gefährdung der „Großen Drei“ – Loof, Percy und Scheidt – hat es bei keinem anderen Team dieser hoch dekorierten Flotte gereicht, in der wir die jüngste Mannschaft waren. Für viele Teilnehmer waren es bereits die fünften oder sechsten Olympischen Spiele. Für uns dagegen war es das Debut. Uns fehlte es noch ein wenig an Erfahrung, in manchen Momenten auch an Abgeklärtheit. Die Segelbedingungen selbst waren traumhaft. Es gab keine Ausfälle, keine Verschiebungen, dafür aber viel Wind, viel Welle und Sonne satt. Wir haben das englische Revier von seiner besten Seite erlebt. Unser Vorwind- und unser Amwind-Speed waren erstklassig. Für uns die Bestätigung, dass wir unsere Hausaufgaben in den letzten sechs Monaten vor den Olympischen Spielen gut gemacht hatten.
Die Fanbegeisterung kannte oft keine Grenzen, war wirklich atemberaubend. Es gab Tage mit 20.000 Zuschauern auf den Wiesen der Festung „The Nothe“ und an den umliegenden Stränden, die dort am Public Viewing teilnahmen. Nervös waren wir deshalb nicht. Eher positiv elektrisiert. Unser Konzentrationsvermögen war an allen Regattatagen sehr gut.
 Foto: onEditionDie Wettfahrten endeten für uns mit einem sehr guten Medaillenrennen. Wir gingen nach gelungenem Start und spannenden Rennen als Dritte über die Ziellinie. Die tragischen Helden der Starbootflotte waren Iain Percy und Andrew „Bart“ Simpson, deren so greifbar nahes Gold sich nach fast unglaublichen Positionswechseln auf den letzten 100 Metern bis ins Ziel völlig unerwartet noch in Silber verwandelte. Aus meiner Sicht spiegelt diese Medaillenvergabe nach dem doppelt gewerteten Finale nicht ganz den Leistungsstand dieser Regattawoche wieder. Andererseits hat Olympiasieger Freddy Loof seine mögliche Goldmedaille vor vier Jahren in China im Finale auf beinahe ähnliche Weise an Iain Percy verloren. Man kann sich also damit trösten, dass nun auch der Schwede, der seit zwei Jahrzehnten zu den „Großen Drei“ zählt, sein verdientes Gold geholt hat.

Foto: onEditionIch möchte es gerne noch einmal ganz deutlich sagen: Diese Segelregatta war hervorragend organisiert. Es waren tolle „Segel-Spiele“. Wir haben es jeden Tag wieder als Genuss und Freude empfunden, zwischen Portland und Weymouth segeln zu dürfen.
Das Endergebnis unserer deutschen Segelmannschaft empfinde ich als vollkommen realistisch und auch sehr gut vertretbar. Natürlich gab es Momente der persönlichen Enttäuschung. Ich stecke mir selbst immer hohe Ziele und hätte es gerne geschafft, der Spitze noch etwas deutlicher zusetzen zu können. Doch Platz sechs in dieser Bootsklasse bei einer Olympia-Premiere zu erreichen, ist auch eine Leistung.

Mich bewegt meine Olympia-Erfahrung sicher zu einer weiteren Kampagne. Egal, ob im Laser, 470er, auf dem Kiteboard, dem Nacra oder im Badminton: Rio, ich werde da sein!

London
Für mich hat der zweite Teil meiner Olympischen Spiele nach dem Medaillenrennen am 5. August in London begonnen. Ich habe dort sehr viel Basketball gesehen, einen Sport, den ich liebe und in dem meine Familie viele Erfolge errungen hat. Ich habe mir auch Handball und Leichtathletik angesehen. Wo immer ich war, herrschte eine tolle Stimmung. Der Besuch des Olympischen Dorfes in London mit seinen 16.000 Bewohnern aus aller Welt war ein Erlebnis! Ebenso das Essen in der Mensa mit den Top-Athleten. Unser Partner Oakley hatte in London sogar ein eigenes Haus, in das alle geförderten Athleten eingeladen waren: Das Oakley- Safe-House direkt an der Themse. Eine klasse Idee, eine traumhafte Location!

Karl Schulze/ Andreas Kuffner/ Frithjof KleenZu meinen persönlichen Höhepunkten der Olympischen Spiele zählte das Wiedersehen mit meinen alten Freunden aus der Grundausbildung bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Der Ruder-Achter, der Doppel-Vierer und die Kanuten hatten Gold geholt und gemeinsam genossen wir nach unseren Wettkämpfen auch das Londoner Night Life. Dass wir immer und überall so herzlichen willkomen waren und mit offenen Armen empfangen wurden, zeugte von sprühendem olympischen Geist. Die Stimmung in London war beschwingt, begeistert, einfach umwerfend! Ich konnte schon einmal üben, wie man als Olympiasieger feiert. Besonderen Spaß hatten wir bei einem spontanen Besuch des Österreichischen Haus, wo „Doppel-Vierer“ Karl Schulze und ich so gastfreundlich wie selten begrüßt wurden. Ihr seid tolle Nachbarn! Lecker Schnitzel, lecker Obstler… Vielen Dank an Josef Margreiter und das gesamte Österreichische Haus! Auch im Deutschen Haus war die Stimmung immer ausgelassen und es tat gut, ein Stückchen Heimat in London als Hafen zu haben.

Die Abschlussfeier
Sie hatte für mich nicht ganz das Flair der Eröffnungsfeier, aber ich weiß, dass sie an den heimischen Bildschirmen noch einmal für riesige Begeisterung gesorgt hat. Die Engländer haben es auf berührende, phantasievolle und inspirierende Weise verstanden, ihre Geschichte zu erzählen und ihr besonderes Lebensgefühl zu vermitteln. Dazu haben sie eine Flotte an Stars präsentiert, die man kaum für möglich hielt. Bewegt hat mich zum Abschied, dass Starboot-Bronzemedaillen-Gewinner Robert Scheidt (es war seine fünfte olympische Medaille!) die Olympische Flagge auf der Bühne für sein Heimatland Brasilien entgegen genommen und am Montag in Sao Paulo übergeben hat. Wenn das kein Zeichen ist! Ich rechne nun schon etwas mehr als nur heimlich mit dem Comeback des Starbootes, dass 2016 aufgrund brasilianischer Intervention wieder olympisch werden könnte.

Feier Rathaus Hamburg

Der Empfang in Hamburg
Die Heimreise mit der ganzen Deutschen Olympiamannschaft auf der MS Deutschland war eine tolle Idee und ein echtes Erlebnis. Ganz so wild, wie es in einigen Zeitungen dargestellt wurde, ging es an Bord allerdings nicht zu. Ich habe bei der Überfahrt auch meine Seele baumeln lassen, viel Entspannung gefunden und meine Erlebnisse noch einmal Revue passieren lassen. Der Empfang in Hamburg war überwältigend, unglaublich, mitreißend! Schon die letzten Elbkilometer waren die Strände gesäumt von Hamburger Fans und Neugierigen, die uns zuwinkten. Ich habe sogar Familie Kröger am Blankeneser Ufer gesichtet. Timmys Neffe hatte zwei Hockeyschläger für die Hockey-Herren gekreuzt und die anderen schwenkten eine Bundesflagge. Der Wahnsinns-Empfang hat uns noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt, wie einmalig es ist ein Olympionik zu sein. Da werden nicht nur Fußballer wie Popstars gefeiert, sondern auch Sportler aus Randsportarten stehen plötzlich im Rampenlicht.

Verbesserungswünsche
Für die Vorbereitung auf die nächsten Olympischen Spiele wünsche ich mir und meinen Mannschaftskameraden, dass die Fördersysteme und Initiativen besser miteinander vernetzt werden und alle Förderer an einem Strang ziehen. Es müsste gelingen, die Mittel zu bündeln und auf die Besten zu verteilen. Wir haben vor Ort von den erfolgreichen Nationen gelernt, dass wir wie sie Top-Trainer von internationalem Format brauchen, die junge Athleten mit ihrer Erfahrung beflügeln können. Es ist an der Zeit, neue Wege zu gehen. Wir brauchen mündige Athleten. Es muss versucht werden, die Mehrheit der aktuellen Olympia-Segelmannschaft und damit auch die von ihr gerade gesammelte olympische Erfahrung an Bord zu halten. Es wäre der größte Fehler, diese Mannschaft ziehen zu lassen und wieder bei Null anzufangen. Aus meiner Sicht muss der Segelsport den potentiellen Leistungsträgern schon im Jugendalter als erstrebenswert und – im Erfolgsfall – auch lukrativ schmackhaft gemacht werden. Und nicht als Sport, der vor allem von Regeln, Bestimmungen und Vorschriften geprägt ist.

Robert Stanjek/ Frithjof KleenVielen, vielen Dank!
Mein Dank gilt allen Helfern und Helferinnen der Olympischen Spiele. Ihr habt die Olympischen Spiele mit einzigartiger Hilfsbereitschaft, Leidenschaft, Freundlichkeit und einer großen Portion britischen Humor zu einem unvergesslichen Fest gemacht! Ich danke der Stadt London, meinen Freunden und meiner Familie für ihre Unterstützung in der Heimat und in England! Ich bin meinen Partnern und Förderern sehr dankbar für ihr Engagement und ihr Vertrauen! Und ich möchte Nadine Stegenwalner danke sagen. Unsere Sportdirektorin – vor Ort Deputy Chef des Mission – hat einen super Job gemacht!

Stay tuned!


Partner